Die BabyzeichenspracheAlles was man darüber wissen sollte

Als vor zehn Jahren in Österreich die ersten Babyzeichensprachekurse angeboten wurden, war das Konzept noch völlig neu und unbekannt. Mittlerweile gibt es viele Familien, die schon davon gehört haben, wie wunderbar es ist. Es hat etwas Magisches, wenn man plötzlich versteht, was ein Baby oder Kleinkind, das noch nicht sprechen kann, „sagt“. Durch die einfachen Gebärden, die Babys schon früh nachzumachen lernen, können sie ausdrücken, was sie möchten bzw. denken oder sie können „erzählen“, woran sie sich erinnern. Abgesehen davon macht es einfach großen Spaß, wenn man die Babys besser versteht und bereichert den gemeinsamen Alltag.

Erst kürzlich wieder hat ein neuer Babyzeichensprachekurs begonnen. Die erste Kursstunde gefällt mir am allerbesten: all die neuen Babys, die erwartungsvollen Gesichter der Eltern, die vielen Fragen. Eine Mischung aus Abwarten und Sich-mitreißen-lassen liegt in der Luft. Wir sitzen auf dem Boden, die Babys liegen, sitzen oder spielen auf einer Decke in der Mitte, auf der Bücher, Instrumente und anderes Spielzeuggegenstände verteilt sind und die Eltern sind rund herum. 

Die meisten Teilnehmer wissen mittlerweile schon ganz gut über Babyzeichensprache Bescheid und darüber, wie schön es ist, wenn Babys die Hände zum Sprechen benutzen, wie viel Spaß es macht und um wieviel zufriedener diese Kinder sind, weil sie verstanden werden.

Aber es kursieren noch immer Gerüchte, die den Eltern möglicherweise falsche Erwartungen machen. Oft höre ich Fragen wie: „Also in ein paar Wochen kann mir mein Kind dann sagen, ob es lieber Apfel oder Banane mag?“ Naja. Ja und nein. Das kann schon sein. Aber auf dieser Basis funktioniert die Kommunikation selten. Es ist eher ein gegenseitiges Die-Welt-Erklären, würde ich sagen. Babyzeichen geben dem Kind ein Werkzeug zur Hand, um auszudrücken, was es glaubt und um Fragen zu stellen, wenn seine bisherige Lebenserfahrung noch nicht ausreicht, um eine neue Situation zu verstehen. Es sucht Wege, um dahinter zu kommen, was ein bestimmtes Ding ist oder wie es funktioniert. Man kann den Babys oftmals ansehen, wie es in ihrem kleinen Köpfchen rattert, wenn sie nicht wissen, was sie mit einem Gegenstand oder einem Bild anfangen sollen. So war das auch bei Oskar, der einen gezeichneten Oktopus aufmerksam betrachtet hat. Er kam offenbar einfach nicht dahinter, was das sein könnte. Schließlich „fragte“ er seine Mama mit Hilfe der Händchen, ob das nun ein Hase oder ein Elefant sei? Er war sehr glücklich, als seine Mama ihm erklärte, dass das ein anderes Tier sei, eines, das er bis dahin eben noch nicht kannte.

Auch wenn sich Eltern wünschen würden, dass ihr Kind sie durch Babyzeichensprache wissen lässt, ob es eine neue Windel braucht oder gerne ein Stück Banane statt der angebotenen Maiswaffel hätte, so gibt es unzählige Kinder, die diese praktischen Zeichen kaum benutzen. Sie möchten viel lieber darüber sprechen, wie schön und faszinierend die Welt ist und wie sehr sie damit beschäftigt sind, alles zu entdecken. So machen Babys ihre Eltern viel lieber auf Dinge aufmerksam, die sie interessant und spannend finden. In der Regel sind das Gegenstände und Situationen, für die wir Erwachsenen schon längst den Blick verloren haben, wie die Gänseblümchen in der Wiese, ein Schmetterling im Bilderbuch oder das Geräusch eines vorbeifliegenden Flugzeugs. Aber wenn wir von unserem eigenen Kind darauf hingewiesen werden, werden wir wieder aufmerksam und empfänglich für die kleinen Dinge des Lebens und können uns gemeinsam freuen.

Was kann ich mir erwarten?

Motiviert durch viele schöne Anekdoten wie andere Babys Handzeichen einsetzen oder eingesetzt haben, kann man schon mal ungeduldig werden. „Babyzeit ist Schneckenzeit“ sagt eine deutsche Kollegin immer. Natürlich muss man einige Wartezeit in Kauf nehmen, bis sich Erfolge einstellen. Sobald die gemeinsame Kommunikation dann funktioniert, wird man für all die Mühe reichlich belohnt.

Jedes Baby hat sein eigenes Tempo und seine eigene Entwicklung. Auch wenn eben jedes anders ist, so gibt es Erfahrungswerte wie schnell Babys beginnen, Gebärden anzuwenden. Gerade das, finde ich persönlich, ist das Schöne – dass es nicht vorhersagbar ist, wie schnell und in welcher Weise meine Kursbabys beginnen werden zu „reden“. Babys in diesem Alter machen das, was sie machen wollen – und nur das. Also kann man auch nicht von „dressieren“ oder anderen abfälligen Bezeichnungen sprechen, die Skeptiker beim Thema Babyzeichensprache äußern. Babys übernehmen die Handbewegungen, wenn sie dafür offen sind. Bei manchen klappt das sehr schnell, bei anderen dauert es Monate. Eine besonders ausdauernde Familie hat mir kürzlich erzählt, dass sie einfach nicht glauben wollte, dass ihr Sohn keine Zeichen machen wird. Sie machten unaufhörlich weiter. Acht Monate lang zeigten sie ihm die unterschiedlichsten Gebärde. Nichts. Nicht einmal winken oder klatschen wollte Theo. Und dann zeigte der mittlerweile 13 Monate alte Theodor eines Tages plötzlich ohne jegliche Erwartung vonseiten der Eltern drei Zeichen in Kombination und fügte sie zu einem Satz zusammen. Einen Drei-Wort-Satz zu bilden ist eine kognitive Leistung, die man einem Kind kurz nach dem ersten Geburtstag niemals zutrauen würde. Verbal ist das unmöglich, mit Hilfe der Gebärden kann es klappen!

Es gibt nicht viele Kinder, die ihre Eltern so lange auf die Folter spannen. Es gibt auch sicher nicht viele Familien, die so lange durchgehalten hätten. Durchschnittswerte zeigen, dass Babys, die mit etwa sechs Monaten den Kurs beginnen und deren Eltern konsequent zuhause Zeichen zur Unterstützung des Gesprochenen einsetzen, nach etwa zwei bis drei Monaten bewusste Handbewegungen zum Zeigen verwenden – auch wenn diese für die Eltern nicht immer leicht zu erkennen sind, weil den Babys die nötige Feinmotorik noch fehlt. In der Regel kann man wohl sagen, dass nach dem ersten Zeichen bis zum ersten Geburtstag weitere zwei bis vier Zeichen dazukommen werden. Sobald das Kind sieht, wie viel Erfolg es mit seinen Händchen hat und wie gut es verstanden wird, häufen sich die Gebärden. Einzelne „rhetorisch“ besonders motivierte Babys haben einen Wortschatz von bis zu 100 Zeichen! Fast unglaublich erscheint es, wenn man hört, dass der damals ungefähr 19 Monate alte Max im Zoo seiner Mama durch Gebärden Folgendes „sagte“: “Dort auf dem Baum sitzen viele Affen“. Der Satz bestand aus fünf Zeichen, die er mühelos kombinierte.

„Ich versteh mein Baby auch ohne Gebärden“ ist wohl der Satz, den ich am häufigsten höre, wenn ich von Babyzeichensprache erzähle. Wenn es um Alltagssituationen geht, wie etwa darum, ob mein Kind eine neue Windel braucht, ob es Hunger hat und trinken möchte oder ob es müde ist, gebe ich den Eltern völlig recht. Jede gute Mutter und jeder gute Vater versteht sein Kind zum Teil durch Laute, durch Körpersprache und Verhalten. Aber will ich wirklich nur das wissen? Sobald mein Kind sprechen kann, möchte ich doch auch wissen, wie es ihm geht, was es fühlt, was es denkt.

Aus dem Alltag von Familien, die erfolgreich Babyzeichensprache anwenden, ist sie nicht mehr wegzudenken. Tagtäglich gibt es Situationen, in denen die Gebärden Licht ins Kommunikations-Dunkel bringen. Wie sollte eine Familie ohne Gebärden folgendes Babyproblem verstehen?

Eine Mama erzählte: „Wir kaufen immer eine bestimmte Windelmarke. Ganz normale Wegwerfwindeln mit kleinen Fischen darauf. Beim letzten Einkauf waren andere Windeln in Aktion und wir dachten, wir könnten diese mal probieren. Als wir Jonathan das erste Mal mit den neuen Windeln wickelten, gab es ein furchtbares Gezeter. Tränen, schreien, winden. Er war fast nicht zu bändigen. Wir hatten keine Ahnung, was los war! Ohne Babyzeichensprache hätten wir die Situation nicht verstanden. Mit Babyzeichensprache konnten wir ganz schnell helfen!“ Nun, was war Jonathans Problem mit den neuen Windeln? War das Material unangenehm? War ein Stückchen Haut eingezwickt? Juckte eine Stelle auf der Haut? Hatte er gar Ausschlag? Nein, es war nichts davon! Jonathan mochte die Fische so gerne, die auf den anderen Windeln abgebildet waren. Nachdem er das Zeichen für Fische gemacht hatte, war es den Eltern klar. Sie holten einen wasserfesten Stift und zeichneten kleine Fische auf den Bund der Windel und wurden von Jonathan mit einem strahlenden Lächeln belohnt.

Zeichen fördern die Sprachentwicklung

„Wenn ich meinem Kind Zeichen zeige, wird es nicht zu sprechen beginnen“, ist eine Angst, die viele Eltern äußern. Nun mal ehrlich: So neu ist es nun auch wieder nicht, sich mit Handbewegungen verständlich(er) zu machen. Man denke nur an einen schönen Urlaub, von dem man im Freundeskreis erzählt. Wenn man die Hände nicht zur Unterstützung der Worte einsetzen dürfte, könnte man nicht so flüssig sprechen und so ungehindert schwärmen.

Auch im Zusammenhang mit Babys sind Gebärden seit Generationen in Verwendung. Wer hat nicht schon vor Jahrzehnten winken, klatschen, Bussi schicken, Prost machen oder anderes gelernt? Was waren die Folgen? Haben Babys zwar zu sprechen begonnen, aber die Worte für „Auf Wiedersehen“, „Bravo!“ oder „Prost!“ erst Jahre später ausgesprochen? Natürlich nicht! Babys haben ihr eigenes Tempo. Manche sprechen sehr früh, manche sprechen sehr spät, in der Regel setzt der Sprachbeginn zwischen acht und -achtzehn Monaten ein. Das ist ein Zeitunterschied von zehn Monaten, sowohl der früheste als auch der späteste Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraums gelten aber als normal, auch wenn der eine eher früh und der andere eher spät ist. Keiner weiß, wann ein individuelles Baby zu sprechen beginnen wird. So ist es auch bei Babys, denen man Gebärden als Kommunikationsmittel anbietet. Niemand kann sagen, ob dieses spezielle Kind ohne Gebärden früher gesprochen hätte. Es ist allerdings unwahrscheinlich, da es mittlerweile viele wissenschaftliche Studien zu dem Thema gibt und sich daraus zeigt, dass Gebärden zur Unterstützung der Sprachentwicklung aus vielerlei Gründen ausgesprochen förderlich sind. Somit liegt eher die Vermutung nahe, dass Kinder mit bzw. durch Babyzeichensprache etwas früher sprechen lernen, als sie es ohne tun würden.

Selbstwert stärken

Babyzeichen fördern aber nicht nur die Sprachentwicklung. Sie wirken sich auch nachhaltig positiv auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls aus, weil sie Kindern guttun und es sie stärkt, wenn sie verstanden werden. Das Quengeln und Raunzen wird weniger, das endlose Ratespiel ist vorbei, weil auf des Babys Gedanken, Wünsche, Erinnerungen und Bedürfnisse prompt eingegangen werden kann.

Dazu könnte ich hier seitenweise Geschichten erzählen, eine ist schöner als die andere, wie etwa die von der 14 Monate alten Julia, die in der Krippe mit einem roten Stift Kreise auf ein Blatt Papier gemalt hatte. Natürlich konnte keiner darin eine Darstellung erkennen. Ganz stolz war Julia auf sich selbst. Mit einem entzückten Grinsen im Gesicht zeigte sie der Pädagogin das Zeichen für „Fuchs“, die sofort versuchte in den roten Kreisen einen Fuchs zu erkennen und Julia für ihre wunderschöne Zeichnung lobte.

Oder die Geschichte von Florentin, der der Älteste im Babyzeichensprachekurs war, aber zur Verzweiflung seiner Mutter bis zur neunte Stunde noch immer keine einzige Gebärde machte. In der darauffolgenden Stunde erzählte die dann überglückliche Mutter folgende Geschichte: Am Vorabend, als sie selbst schon geschlafen hatte, war Florentin aufgewacht und fing an ein bisschen zu weinen. Als der Vater nachschauen ging, was sein Sohn brauchte, setzte Florentin sich im Bett auf und zeigte „Mama“ und „Milch“. Er wollte sichtlich gestillt werden.

Auch Lena wurde in einer nächtlichen Situation sofort verstanden. Sie war ein Kind, das in der Regel von selbst und recht rasch einschlief, aber an diesem Abend war es ihr einfach nicht möglich. Die Eltern hörten ihr Geplapper und Geräusche vom Spielzeug durch die Kinderzimmertüre bis ins Wohnzimmer. Als Lenas Mama nachsah, warum das Einschlafen heute gar nicht klappen wollte, machte Lena die Gebärde für „Fenster“. Die Mutter schloss daraufhin das Fenster, wünschte der Kleinen nochmals eine gute Nacht und nach wenigen Minuten war es im Kinderzimmer still.

Gebärdenunterstütze Kommunikation fördert die Bindung

Nach so viel positiver Erfahrung mit Gebärden – wen wundert es da noch, dass Babyzeichen auch die Bindung zwischen Eltern und Kindern festigen? Durch gegenseitiges Verständnis fällt es leichter, auf das Kind einzugehen. Das macht sogar Spaß, anstatt dass das permanente Quengeln die Nerven der Eltern strapaziert. Umgekehrt zeigen auch die Kinder eine größere Akzeptanz für die Dinge, die nun mal sein müssen: Neue Windel anlegen, anziehen, dem Papa winken, weil er jetzt arbeiten gehen muss, oder in der Krippe bleiben. Diese Familien sind folglich entspannter, als sie es ohne Gebärden wären. Das wirkt sich nicht nur auf das Kind und die Eltern aus, sondern auch auf das weitere Umfeld.

Auch wenn Babyzeichensprache für Großeltern verständlicherweise absolutes Neuland ist, gibt es viele, die bewundern und bestaunen, nicht nur was in Babys Kopf schon vor sich geht, sondern insbesondere, dass das Baby einen Weg hat, es auszudrücken. Die Erkenntnis, was Kinder schon alles verstehen, ist für jedermann faszinierend und -erstaunlich.

Ganz besonders entzückend wird es, wenn Geschwister gegenseitig Zeichen einsetzen, um zu kommunizieren. Meine Kollegin Maria aus der Region Mistelbach hat folgende schöne Geschichte zur Verfügung gestellt: Zwei Brüder spielen gerne miteinander Verstecken. Der Große sucht sich ein Versteck und ruft dann dem Kleinen „Wo bin ich?“ zu. Der Kleine macht sich daraufhin auf die Suche. Währenddessen macht er die ganze Zeit das Zeichen für seinen Bruder, also die Gebärde, die eine Art Spitzname für seinen großen Bruder ist. Der Kleine „ruft“ somit zurück. Abgesehen davon, dass die Kinder beide mit viel Freude bei der Sache sind, ist es entzückend, zu sehen, wie Babys mit ihren kleinen Händchen die Gebärden formen und das „Gesagte“ durch Mimik und Körpersprache unterstützen, eben so wie sie es von ihren Eltern gezeigt bekommen und zum Verständnis aller einsetzen gelernt haben.

Autorin: Simone Kostka, BA