Es ist fast schon ein MUSS, dass man als werdender Vater heute bei der Geburt des Kindes dabei ist. Was aber oftmals vergessen wird: Frauen haben neun Monate Zeit, um sich auf diesen Augenblick vorzubereiten, einzustimmen und sich mit dem Gedanken einer starken Körpererfahrung anzufreunden. Väter werden meist nur dazu eingeladen, einem Geburtsvorbereitungskurs beizuwohnen, und sind auf Erzählungen im Freundeskreis angewiesen.
Einige Männer lesen – und auch hier gibt es von A bis Z die unterschiedlichsten Eindrücke. Was oftmals fehlt, ist ein wahrheitsgemäßer, aber gleichzeitig praktischer Überblick, was Mann bei der Geburt erlebt und wie man unterstützen kann. Diesen Überblick möchte ich dir gerne anbieten. Erstens, weil ich gerade an meinem zweiten Buch schreibe, das sich explizit an den werdenden Vater richtet. Zweitens, weil es jeder Frau zu einer noch besseren Geburtserfahrung verhilft, wenn ihr Begleiter voller Vertrauen weiß, was geschieht und wie er begleiten kann.
Bevor wir gleich loslegen, muss ich erklären, wie wir bei Positive Birth® den Geburtsverlauf beschreiben. Wir sehen ihn nicht als geraden Prozess mit definiertem Anfang, genauer Zeitangabe und präzise vorhersehbarem Ende. Sondern vielmehr als einen individuellen Weg, dessen Dauer und Verlauf von Frau zu Frau verschieden ist. Wir stellen uns diesen Weg als Spirale vor. Die Spirale, ein Urzeichen des Lebens, ist sinnvoll, weil du beim Gehen eines Weges in Spiralform erstens nicht weißt, wie lange du gehst und zweitens nicht siehst, was nach der nächsten Kurve auf dich wartet. Lass dich darauf ein, dass deine Frau beim Gehen dieses Weges mehr und mehr in ihr inneres Zentrum gelangt – je näher sie dem Zentrum der Spirale (der tatsächlichen Geburt eures Kindes) kommt, desto mehr zentriert sie sich auch auf das Geschehen und gerät in eine Art Trance. Wie das abläuft, erfährst du jetzt:
1. Phase: Es geht los
Deine Frau macht dich darauf aufmerksam, dass ihr Bauch in regelmäßigen Abständen hart und wieder weich wird: Die Wehen haben eingesetzt! Sobald diese Kontraktionen so stark sind, dass deine Frau an ihrem Höhepunkt innehalten muss, kannst du davon ausgehen, dass es sich um Geburtskontraktionen handelt.
Was kannst du tun?
Nichts. Vielleicht die Geburtstasche fertigpacken und Suppe kochen. Zunächst könnt ihr einfach in eurem Alltagsgeschehen fortfahren.
2. Phase: Die Geburt hat wirklich begonnen
Deine Frau sitzt vermehrt am WC, um sich in allen Varianten zu entleeren. Dies unterstützt deine Frau dabei, sich ganz dem Lebensfluss zu „übergeben”. Ihr Körper möchte dabei helfen, vollkommen loszulassen und macht nebenbei noch Platz für das Baby.
Was kannst du tun?
Halte einen Kübel und Handtücher bereit, falls deiner Frau übel ist. Achte darauf, dass deine Frau einen stabilen Kreislauf behält und versorge sie regelmäßig mit etwas Flüssigkeit und/oder leichter Kost. Achte auch auf deine eigenen Grenzen und halte für dich zum Beispiel ein gut duftendes Öl bereit, dass dich vor etwaigen unangenehmen Körpergerüchen abschirmt. Eventuell: Hebamme verständigen, Kinderbetreuung informieren, Klinik informieren.
3. Phase: Öffnung
Die Kontraktionen werden nun in ihrer Intensität nicht unbedingt stärker, aber vielleicht noch etwas länger und die Abstände dazwischen kürzer. Was du nun beobachten kannst, ist für viele Männer verunsichernd: Deine Frau überlässt langsam ihrem Körper die Kontrolle über ihr Bewusstsein. Sie fällt in eine Art Rhythmus (Trance). Für eine positive Geburtserfahrung ist es wesentlich, dass deine Frau in diesen Rhythmus hineinfinden und in diesem Rhythmus bleiben kann.
Was kannst du tun?
Sei ein stiller Beobachter. Lass deiner Frau Zeit, ihren Weg zu finden. Falls sie starke Krämpfe oder irgendwo starke Empfindungen hat (z.B. im Rücken, in den Beinen), die sie aus dem Rhythmus bringen, können dein Gegendruck oder eine sanfte Massage hilfreich sein. Gehe einfach mit ihren Bedürfnissen mit. Erinnere sie auch mal daran, wieder auf’s WC zu gehen und dort ein paar Wehen zu erleben. Essen, trinken!
FRAGE: WANN fahren wir in die Klinik?
Diese Frage kann für den weiteren Geburtsverlauf relevant sein. Unsere Empfehlung: Fahrt irgendwann zu Beginn dieser Eröffnungsphase los. Wenn deine Frau bereits eine Zeit lang einen guten Rhythmus hat, und dabei z.B. auch den vermehrten Abgang von Schleim auf der Toilette bemerkt, könnt ihr davon ausgehen, dass dieser Ortswechsel die Geburt nicht mehr aufhalten wird.
4. Phase: Geburtstrance – Flow-Zustand
Jetzt macht deine Frau vielleicht bei jeder Kontraktion tiefe Töne. Ein lautes Stöhnen, ganz ähnlich wie beim Liebesakt, ist bei einer Geburt keine Seltenheit und sehr hilfreich! Tatsächlich empfinden viele Frauen während dieser Phase der Geburt auch lustvolle Gefühle. Ihr Muttermund – der Teil, der sich öffnet, damit euer Baby durch die Gebärmutter überhaupt nach draußen schlüpfen kann – wird immer weiter geöffnet.
Was kannst du tun?
Echte Sexual- und Liebeshormone sind bei der Geburt sehr gefragt, denn sie intensivieren den Geburtsprozess auf einmalig positive Weise für Mutter und Kind! Wenn deine Frau und du es gerne möchten, könnt ihr dies verstärken, indem ihr euch intensiv küsst, du sie mit einer intensiven Massage verwöhnst oder ganz einfach nur mit ihr lachst. Es kommt tatsächlich auf die Öffnung des Mundes an, damit sich der Gebärmuttermund gut öffnen kann und der Beckenboden sich lockert. Sorge jetzt unbedingt für genügend Intimsphäre.
Wasser, Marsch!
Der Blasensprung
Falls noch nicht geschehen, kann sich die Fruchtblase deiner Liebsten nun jederzeit öffnen. Es geht dabei eine Menge Flüssigkeit unkontrolliert ab, die noch dazu sehr ungewohnt riecht. Auch der Druck, den deine Frau jetzt mit den nächsten Kontraktionen spürt, kann ungewohnt intensiv sein.
5. Phase: Übergang und Emotion
Eventuell erlebst du jetzt (d)eine stark emotionale Frau, die aggressiv ist, laut schreit, weint oder verzweifelt ist. Deine Frau hat immer schneller aufeinanderfolgende, starke Wehen mit kürzeren Pausen, die vielleicht nur mehr schwer wahrzunehmen sind. Die Pausen sind aber immer noch da – als Geburtsbegleiter darfst du deine Frau darauf aufmerksam machen, wenn eine Kontraktion vorbei ist. Viele Frauen fühlen nun große Hitze in ihrem Körper und möchten ganz nackt sein. Nur jetzt wird auch eine gewisse Menge an Adrenalin ausgeschüttet, das deiner Frau einen Kick gibt – diesen wird sie gleich brauchen, um wach und fit aus der Geburt zu kommen. Den bekommst du, wie all die anderen tollen Hormone, übrigens auch ab, wenn du bei der Geburt dabei bist.
Was kannst du tun?
Gar nichts – nur durchhalten und dabeibleiben. Falls du das Gefühl hast, deine Frau verliert den Mut („Ich kann das nicht mehr.“ „Ich schaffe das nicht.“ „Ich halte das nicht mehr aus.“), dann ermutige sie unentwegt. Erinnere sie an ihr Ziel – euer gesundes, starkes Baby – und mache ihr Mut, sich jetzt ganz hinzugeben. Du kannst ihr die folgenden hilfreichen Affirmationen einflüstern:
Lass es einfach zu. Lass es einfach geschehen. Gib dich ganz hin.
Du schaffst das!
Nur noch ein kleines Stück!
6. Phase: Schieben und gebären
Hat sie die vorige Phase gemeistert, ist ihr Muttermund ganz geöffnet und der Körper gönnt sich oftmals eine Verschnaufpause. Dann spürt deine Frau mit der nächsten Wehe etwas Besonderes: Den unnachgiebigen Drang mitzuschieben, ganz so wie beim Stuhlgang. Jetzt übernimmt der Körper deiner Frau komplett die Kontrolle, denn das Kind zu gebären ist eine Instinkthandlung. Deine Frau atmet so, dass sie kurz die Luft anhält, drückt, dann kurz stoßartig ausatmet und wieder einatmet. Deine Frau wird nun mit jeder Wehe wieder klarer, wacher und aufmerksamer.
Was kannst du tun?
Körperlich eine sehr anstrengende Phase für euch beide, denn so gut wie alle Frauen brauchen jetzt Gegendruck, um das Baby zu gebären. Sie hält sich dabei gerne an dir fest – und da kommst du dann so schnell nicht mehr raus! Deine Frau kann nun massive Kraft haben, die dich umwirft – manche Männer haben tatsächlich „Geburtsmale“ von der „Umarmung“ ihrer Frau während dieser Phase. Idealerweise bist du dabei aber nicht ihre Stütze, sondern ihr Begleiter. Das bedeutet, sie braucht eine andere Möglichkeit, zum Festhalten – zum Beispiel ein stabiles Sofa, eine Sprossenwand, ein Seil oder Tuch, das an einem stabilen Pfosten befestigt ist.
Essentiell für eine leichtere Bewältigung dieser Geburtsphase ist, dass sich deine Frau in einer Position befindet, in welcher der bewegliche Teil am Ende ihres Steißbeines frei nach oben Richtung Wirbelsäule des Kindes weggedrückt werden kann. Soll heißen: Hast du freien Blick auf den Po deiner Liebsten, so hat sie eine gute Geburtsposition eingenommen!
7. Phase: Kronen-Phase & Zentrum
Viele Frauen spüren jetzt ein stark angespanntes Gefühl oder ein Brennen an der Vagina. Wenn deine Frau das Brennen spürt, kann sie vielleicht sehr laut werden. Das heißt nicht, dass sie unsagbare Schmerzen hat. Stell dir einfach vor, wie viel Kraft gerade durch den Körper deiner Frau fließt! Diese Energie muss sich irgendwo entladen.
Langsam kommt dein Baby tiefer durch die Scheide deiner Frau. Erst der Kopf, dann mit der weiteren Wehe die Schultern. Sobald dies geschafft ist, gleitet der Körper des Kindes weich und mit einem Schwung aus deiner Frau heraus. Ihr seid im Zentrum der Geburtsspirale angelangt. Euer Kind ist geboren!
Was kannst du tun?
Sei mutig und halte den positiven Raum. Bestimmt wird euch eure Hebamme darauf hinweisen, sobald das Köpfchen eures Babys sichtbar wird. Falls du nicht hinsehen möchtest, bleibe gerne liebevoll im oberen Körperbereich deiner Frau, während euer Baby zur Welt kommt. Achte gut auf Dich! Wenn du dazu Lust hast, schau gerne hin und mache vielleicht sogar einzigartige Fotos von diesem Augenblick. Du kannst deiner Frau (und dir selbst) nach wie vor mit Bestärkungen Mut und Zuversicht aussprechen, für Kühlung oder Wasser sorgen und in den Wehenpausen mit deiner Liebsten plaudern. Falls dein Baby zu Hause zur Welt kommt, hole das Handtuch aus dem Backrohr oder von der Badezimmerheizung und wärme es weiter, indem du es dir unter dein Shirt steckst.
8. Nachgeburtsphase
Dein Baby liegt auf dem Bauch deiner Frau, deine Frau strahlt oder ist k.o. (oder beides zusammen). Die Nabelschnur pulsiert nicht mehr. Die Hebamme kontrolliert, ob sich die Plazenta bereits gelöst hat. Eventuell hat deine Frau nochmals leichte Wehen, sobald euer Baby seinen Willkommensdrink an der Brust nimmt.
Was kannst du tun?
Jubeln, weinen, durchatmen, abwarten und Sekt trinken! Und deine Frau und euer Baby warmhalten (Haut an Haut, darüber eine Decke oder Handtuch). Deine Frau hochleben lassen. Dein Baby bewundern. Wenn die Nabelschnur auspulsiert ist, kannst du entweder selbst zur Schere greifen und euer Kind abnabeln oder ihr wartet, bis deine Frau die Plazenta geboren hat. Die Hebamme wird euch dabei zur Seite stehen.
Herzlichen Glückwunsch:
IHR HABT ES GESCHAFFT!
Hast du selbst bereits eine Geburt erlebt und möchtest mit deiner Geschichte anderen Vätern Mut machen? Dann schicke mir deine Geschichte für mein neues Buch „Positive Birth – Gentlemen’s Edition“! Unter allen Teilnehmern verlose ich ein Candle-Light-Dinner oder ein Frühstück in einem Restaurant deiner Nähe für dich und deine Liebste. Mail mir an jasmin@positivebirth.eu für Details!
Autorin: Jasmin Nerici