FamilienlebenSPEZIFISCHE BESONDERHEITEN EINER PATCHWORKFAMILIE

Nikolas (2), der Nachzügler von Verena und Moritz, ist ein wahrer Sonnenschein. Die Zwillinge Marlies und Veronika (6) hat Verena in die gemeinsame Beziehung gebracht. Die Tochter von Moritz, Amelie (12), wohnt auch bei der Familie. In letzter Zeit gibt es öfters Streit. Wenn Amelie wütend ist, schreit sie Verena des Öfteren an und sagt dann so etwas wie: „Du bist nicht meine Mama. Ich muss nicht machen, was du sagst!“

Als Joachim und Marlene sich getrennt haben, haben sie beschlossen, ihre beiden Kinder zu gleichen Teilen zu betreuen. Sophia (12) und Valentina (9) gefällt diese Regelung eigentlich ziemlich gut, aber ab und zu finden sie es blöd, dass Mama einen neuen Freund und Papa eine neue Freundin hat. Alexia, die Freundin von Papa, hat Maurice (6) in die Familie mitgebracht und oftmals ist der Kleine ziemlich nervig. Wenn ihr Papa ihm dann viel Aufmerksamkeit schenkt, finden die beiden Mädchen einfach, dass es ohne Maurice leichter wäre.

Oskar (11) wohnt während der Schulzeit in einem Internat. Dies hat er sich selbst ausgesucht. Da sich seine Eltern getrennt haben, als er neun Jahre alt war, verbringt er ein Wochenende bei Mama und eines bei Papa. Oskar findet es schade, dass er seine Mama nur jedes zweite Wochenende sieht. Manchmal hat er Sehnsucht danach, wie es war, als alle noch zusammengewohnt haben und er nicht so viel pendeln musste. Letztes Wochenende hat er den neuen Freund von Mama kennengelernt. Die beiden Erwachsenen wollen zusammenziehen. Jetzt wird sich wieder viel für Oskar verändern.

Patchworkfamilie = Stieffamilie

Der Begriff Patchworkfamilie ist eigentlich eine andere Bezeichnung für die Stieffamilie. Stieffamilien gab es genau genommen schon immer. Früher entstanden diese eher durch den Tod einer Ehepartnerin oder eines ­Ehepartners. Die Zeit hat sich jedoch gewandelt. Durch das moderne Leben und die scheinbar unendlichen Möglichkeiten der Geschlechter werden Trennung und Scheidung immer mehr zur Normalität. Waren es früher zumeist wirtschaftliche Abhängigkeiten, die vor allem Frauen dazu zwangen, in einer Partnerschaft zu bleiben, ist das Beenden einer Beziehung heutzutage zumindest aus rechtlicher Sicht ziemlich einfach und fast schon so etwas wie eine Selbstverständlichkeit.

Eine Trennung/Scheidung ist jedoch niemals leicht. Nicht nur für die Erwachsenen ist die Beendigung einer Beziehung ein oftmals einschneidendes Erlebnis. Auch für Kinder bedeutet es, dass sie während ihres Erwachsenwerdens und in ihrem Leben eventuell unterschiedliche oder mehrere Partnerinnen und Partner des jeweiligen Elternteils kennenlernen und sich in die neue Situation einfinden müssen. Somit können ungewöhnliche Familiengeflechte wie Stiefmütter und Stiefväter, Ex-Großeltern, neue oder ehemalige Stiefgeschwister, etc. entstehen und für alle durchaus eine Herausforderung bedeuten.

Trennungen – ein Einschnitt ins Leben aller Beteiligten

Nicht nur im Leben von Erwachsenen sind Trennungen oder der Tod einer Partnerin/eines Partners ein harter Einschnitt ins Leben. Oftmals sind solche Einschnitte nicht leicht zu vollziehen oder es braucht viel Zeit, um sie wirklich gut zu verarbeiten. Den meisten Erwachsenen setzt eine Trennung mit all den Konsequenzen, die sie nach sich zieht, ziemlich zu. Kinder und Jugendliche leiden fast immer darunter, dass sich in ihrem Leben so viel verändert und eine wichtige Bezugsperson vielleicht nicht mehr oder tatsächlich nur mehr selten unmittelbar greifbar ist. Mitunter kann eine Trennung/Scheidung aber auch Erleichterung für Erwachsene, Kinder und Jugendliche bringen, wenn das Familienleben davor von andauernden Streitereien, Hass, Gewalt oder sonstigen Unannehmlichkeiten geprägt war.

Jugendliche gehen mit ihrer Trauer und ihren Gedanken anders um als kleine Kinder, wenn sie miterleben, dass Mama oder Papa aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. So kann es passieren, dass Kinder die Trennung der Eltern auf sich selbst beziehen und glauben, an dem Fiasko Schuld zu haben. Daher ist es für Kinder und Jugendliche wichtig, dass Erwachsene mit ihnen offen darüber sprechen und klarstellen, dass es nichts mit der Liebe zum Kind oder Jugendlichen zu tun hat, sondern die beiden Erwachsenen nicht mehr miteinander leben können und auch nicht mehr wollen.

Eine neue Familie

Eigentlich könnte es wunderbar sein: Zwei Erwachsene verlieben sich ineinander und werden ein Paar. Aus einem alleinerziehenden Elternteil wird, so unter anderem die Hoffnung, wieder eine kleine Familie, welche sich die Erwachsenen nicht zuletzt auch für ihre Kinder wünschen. Wenn dann nach vielen Überlegungen und Gesprächen die neue Partnerin/der neue Partner den Kindern vorgestellt wird und später einzieht, ändert sich erneut vieles im Leben aller Beteiligten. Diese Veränderungen stellen nicht nur die Kinder und Jugendlichen oftmals vor Herausforderungen. Möglicherweise müssen Kinder und Jugendliche damit zurechtkommen, mit Stief- und Halbgeschwistern die Liebe und Aufmerksamkeit der Eltern noch mehr zu teilen. Für manche kann es schön sein, auf diese Art und Weise zu einer älteren Schwester oder einem größeren Bruder zu kommen oder ein Baby im Haus zu haben. Andere wiederum müssen sich erst im wahrsten Sinne des Wortes zusammenraufen.

Für gemeinsame Kinder kann es manchmal traurig sein, wenn die größeren Halbgeschwister beim anderen leiblichen Elternteil sind, die Kleine/der Kleine nicht mitkommen darf und das Gefühl, etwas zu versäumen, auftaucht.

Auch die Erwachsenen finden sich manchmal in Situationen wieder, die sie sich so nicht vorgestellt haben und die sich als sehr schwierig herausstellen. Oft kann das tatsächliche Zusammenleben am Beginn komplexer sein, als man es sich zuvor ausgemalt hat. Da treffen Elternteile aufeinander, die möglicherweise unterschiedliche Erziehungsstile haben und mit den Kindern anders umgehen. Auch die verschiedenen Rituale und Traditionen der Familien müssen erst einmal unter einen Hut gebracht und neue entwickelt werden.

So brauchen das Zusammenfinden als neue Familie und das Herausfinden, wie dieser neue Mensch/diese neuen Menschen denken, fühlen, handeln und einzuschätzen sind, Zeit und viel Kommunikation miteinander. Mit zu bedenken ist in solchen Situationen auch immer der jeweilige andere Elternteil, der ebenfalls einen Einfluss auf die Gestaltung des neuen Familienlebens hat.

Meist sind es die Ungeduld, die vielen Erwartungen und der große Wunsch nach einem schnellen, perfekten Miteinander, die alle Beteiligten mitunter an ihre Grenzen bringen und überfordern. Neben Zeit und Geduld ist es wichtig, dass die Kinder nicht das Gefühl haben, sich für oder gegen den „leiblichen“ Elternteil entscheiden zu müssen und die neue Partnerin/der neue Partner nicht glaubt, mit der „richtigen“ Mutter/dem „richtigen“ Vater konkurrieren oder etwas besser machen zu müssen als diese/dieser.

Jede Familie ist anders

So unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich sind Patchworkfamilien. Es gibt viele verschiedenste Modelle und Vorbilder, wie das Zusammenleben gelingen kann, aber letztlich muss jedes Familienmitglied die Bereitschaft besitzen, einen Weg zu finden, wie alle zusammenwachsen können.

Jeder Einzelne hat direkte oder indirekte Erwartungen an das neue Familienmitglied bzw. die neuen Familienmitglieder. Ziemlich sicher hat auch jede/jeder andere Vorstellungen von einem harmonischen Zusammenleben als Patchworkfamilie. Hier sind die Gesprächsbereitschaft und Auseinandersetzung aller Beteiligten unerlässlich, damit ein Miteinander geschehen kann und das Abenteuer „neue Familie“ auch gute Chancen hat, längerfristig zu bestehen.

In jedem Fall sind auch Flexibilität, das Eingehen von Kompromissen und der Wille aller Beteiligten, sich in die neue Familie einzubringen, maßgeblich für das Gelingen eines guten Miteinanders von großer Bedeutung. Genauso, wie jeder Mensch seine eigene Persönlichkeit mitbringt, hat jede neu zusammengefundene Familie ihre ganz eigene Dynamik, die sich im Laufe der Zeit und mit den Lebensumständen immer wieder mal ändert.

So ist jede Patchworkfamilie in sich eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Sind am Beginn viele Situationen noch neu und muss sich vieles erst einspielen, braucht es auch das gegenseitige Zutrauen in alle Familienmitglieder, damit Vertrauen untereinander wachsen kann, Veränderungen auch Neues hervorbringen und mitunter auch Spaß machen können.

Das Zusammenleben als Familie, egal, ob als kleine Familie oder als Patchworkfamilie mit vielen Personen, die auch dazugehören, kann trotz aller anfänglichen Ungewissheit für alle Familienmitglieder wieder mehr Stabilität, Sicherheit und Ruhe bedeuten.

Autorinnen: Dipl.- Päd. Andrea Leidlmayr, BEd & Mag. Christine Strableg