FrühchenZu früh geboren – bereit zu leben

40 Wochen oder 280 Tage dauert eine durchschnittliche Schwangerschaft. Babys, die das Licht der Welt vor der 37. Schwangerschaftswoche erblicken, werden Frühchen genannt. In Österreich sind es ungefähr 8 %.

Manche wenige von ihnen sind besonders klein. Nicht größer als zwei Handvoll. Manche von ihnen beweisen schon von Anfang an, dass sie Kämpfer sind und leben wollen. Entgegen aller Prognosen und Erwartungen. Eigentlich noch gar nicht reif genug, um auf dieser Welt überleben zu können. Nicht ohne intensivmedizinische Versorgung, nicht ohne Schläuche, die sie mit Sauerstoff und Nahrung versorgen. Aber wichtiger: nicht ohne mütterliche Liebe, Nähe, Wärme und Berührung.

Eltern von Frühchen

Sie sind, vor allem am Anfang ihres Elternseins, in einer ganz besonderen Weise gefordert. Zu früh und oft auch noch unvorbereitet werden die Eltern mit der Tatsache der Geburt konfrontiert. Der „Nestbau“ ist noch nicht abgeschlossen, die Vorbereitungen noch im Gange. Nicht alles ist eingekauft, fertiggestellt und organisiert. Oft völlig überraschend durchkreuzen Frühchen jegliche Pläne und Vorstellungen und sind plötzlich da – und das mit ganz besonderen Bedürfnissen. Sie brauchen noch Zeit, um das, was im Mutterleib noch hätte reifen, wachsen, sich entwickeln sollen, nachzuholen. Dies fordert viel Kraft, Stärke, Geduld und Vertrauen.

Eltern von Frühchen sind mit Gefühlen konfrontiert, die mit den Glücksgefühlen frisch gebackener Eltern wenig zu tun haben. Gefühle wie Angst, Ohnmacht, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ablehnung und Wut, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ambivalente Gefühle dem Neugeborenen gegenüber sind sehr normal und es darf länger dauern, bis sich mütterliche Gefühle wie Liebe und Zuneigung entwickeln.

Wenn eine Frühgeburt mit Schwangerschaftskomplikationen wie frühzeitiger Wehentätigkeit, Blasensprung, Gestose (Schwangerschaftsvergiftung), Erkrankungen mütterlicherseits oder Infektionen einhergeht, gehen der Geburt oft noch wochenlange Krankenhausaufenthalte voraus. Diese können auch zu einer extremen psychischen Belastung werden.

Oft kann es hilfreich sein, zu wissen, dass man mit allen Problemen nicht alleine dasteht. Einerseits gibt es ein kompetentes Ärzte- und Krankenschwesternteam, die sich rund um die Uhr um Ihr Kind kümmern. Die Krankenschwestern können in der Zeit des Krankenhausaufenthaltes zu wichtigen Bezugspersonen werden. Lassen Sie dies auch zu, denn es kann Sie wesentlich entlasten.

Scheuen Sie auch nicht davor zurück ­andere Frühchen-Eltern kennen zu lernen, die in der gleichen Situation sind. Sich gegenseitig Erfahrung mitzuteilen tröstet ungemein. Neben privaten Kontakten können auch Selbsthilfegruppen oder online-Foren sehr unterstützend sein.

Wenn das Kind wochenlang auf der Neonatologie liegt und Sie nicht 24 Stunden anwesend sein können, kann es einerseits belastend sein, das Kind verlassen zu müssen, aber es kann andererseits für Sie eine Möglichkeit sein für ein paar Stunden Abstand zu bekommen. Es kann zwischendurch gut tun, etwas Alltag zu leben. Gewohnte Tätigkeiten wie Geschirr spülen, einkaufen gehen oder Wäsche waschen können helfen, sich etwas abzulenken. Es mag schwer vorstellbar sein, sich selbst in einer Situation, wo das Baby um sein Leben kämpft, etwas Gutes zu tun, aber es ist notwendig. Es ist nicht möglich, rund um die Uhr dem seelischen Druck stand zu halten. Versuchen Sie sich bewusst zu machen, dass Sie auch selbst wieder Kraft schöpfen müssen, um für Ihr Baby da sein zu können.

Es wird wahrscheinlich auch wichtig sein, dass Sie sich als Eltern untereinander oder auch mit anderen vertrauten Personen, die von Ihnen in die Pflege mit einbezogen werden, in der Versorgung Ihres Kindes ablösen können.

Besonders klein

Mit einem Gewicht unter 1000 g haben es Frühgeborene besonders schwer. Sie brauchen die schützende Wärme eines Inkubators, Sauerstoff durch Intubation und Nahrung über eine Sonde, um überleben zu können. Die Ernährung besteht häufig zunächst aus einer Wasser-Zucker-Mischung, da der Magen noch keine Milch verdauen kann. Im Inkubator werden sämtliche Körperfunktionen kontrolliert, die Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden konstant gehalten und das Baby vor Infektionen geschützt.

Der Kontakt mag anfänglich hauptsächlich aus Beobachten bestehen. Nehmen Sie sich anfangs viel Zeit, Ihr Baby beim Schlafen, Atmen, Essen, etc. zu beobachten. Versuchen Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Baby und nicht auf die vielen angeschlossenen Schläuche, Kabel und Geräte zu lenken. Es wird durch viele Anzeichen versuchen sich mitzuteilen, wie es ihm gerade geht und welche Bedürfnisse es hat. Diese kennen zu lernen, wird Zeit in Anspruch nehmen. Atmet es ruhig und gleichmäßig, ist es entspannt. Auch die Hautfarbe sagt viel über seinen Gemütszustand aus. Blasse Stellen um Mund und Nase herum zeigen vielleicht, dass es Ruhe braucht oder Trost benötigt. Ruckartige, zuckende Bewegungen, eine überstreckte Körperhaltung oder Schluckauf können auch auf Stress hindeuten. Mit der Zeit werden Sie wissen, wann Ihr Baby Trost, Ansprache oder vielleicht doch lieber Ruhe braucht.

Schon etwas größer

Ab einem Körpergewicht von 1500 g schafft es der Körper eines Frühchens bereits viele lebenswichtige Funktionen zu übernehmen. Organe haben ihre Funktion jetzt bereits aufgenommen, die Lunge ist ebenfalls entwickelt, wodurch eigenständiges Atmen möglich ist, und der Stoffwechsel hat eingesetzt. Das Gehirn des Babys ist schon recht gut entwickelt. Es ist zum Beispiel schon in der Lage, zu träumen und Reize in Träumen zu verarbeiten.

Eine Fettschicht ermöglicht es dem Baby, seine Körpertemperatur schon ein wenig selbst zu regulieren. So ist es nun auch immer öfter möglich, den Kontakt zu Ihrem Neugeborenen durch die Übernahme von Pflegetätigkeiten und ganz besonders Kuscheleinheiten auszudehnen.

Bindung durch Berührung

Frühchen brauchen so viel Körperkontakt wie möglich für ihre weitere körperliche und emotionale Entwicklung. Anfänglich mag der Körperkontakt hauptsächlich daraus bestehen, dass Sie Ihre Hand behutsam auf das Köpfchen oder auf den Rücken legen. Langsame Bewegungen und ein zärtliches Umschließen des Körpers können Ihrem Baby ein Gefühl der Geborgenheit wie im Mutterleib vermitteln.

Indem Sie langsam beginnen wichtige Aufgaben wie Füttern, Waschen oder Windelwechseln zu übernehmen, wächst Ihre Vertrautheit mit Ihrem Kind und damit auch die Zuversicht in Ihre Fähigkeiten als Eltern. Auf diese Weise kann, allen Anfangsschwierigkeiten zum Trotz, eine enge Mutter-Kind-Bindung entstehen.

Eine besondere Methode der Berührung ist das sogenannte Känguruhen. Dabei wird das Baby Haut an Haut auf die nackte Brust oder den Bauch zum Kuscheln gelegt. Durch den direkten Hautkontakt wird bei den Eltern und dem Baby das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Oxytocin baut Stress ab, fördert Empathie, Bindungsfähigkeit und Vertrauen, sorgt für Wohlbefinden und Entspannung und fördert den Milchfluss.

Das Baby wird versuchen, an seine frühen elementaren und sinnlichen Wahrnehmungen im Mutterleib anzuknüpfen. Durch Anregungen, die die ganze Hautoberfläche und den Muskelkörper einbeziehen, können positive Erfahrungen mit dem eigenen Körper, den Bezugspersonen und der Umwelt gemacht werden.

Frühchen und stillen

Sobald der Körper eines Frühchens dazu in der Lage ist Muttermilch zu verdauen, ist diese die beste Nahrung, die Sie ihm bieten können. Frühchen sind oft sehr schwach und krankheitsanfällig. Die mütterlichen Antikörper in der Milch helfen dem unausgereiften Immunsystem seine Aufgaben, für die es sonst noch gar nicht bereit wäre, besser zu bewältigen. Die optimale Zusammensetzung lässt das Frühgeborene nicht nur wachsen und gedeihen, sondern schützt es auch vor den Keimen der Umwelt. Hinzu kommt der Aspekt der gegenseitigen Nähe, sobald Ihr Baby in der Lage ist, sich eigenständig von der Brust zu ernähren. Die seelischen Wunden, die eine Frühgeburt bei Mutter und Kind hinterlässt, können nur langsam heilen. Stillen hilft dabei.

Die aufwendigen Stunden mit der Milchpumpe, die anfänglich notwendig sein werden, zahlen sich aus, um den Milchfluss anzuregen und aufrecht zu erhalten. Denn auch wenn das Kleine die Muttermilch noch nicht verdauen kann und später nur ein paar Milliliter an Nahrung zu sich nehmen wird, ist es das Beste, was Sie Ihrem Kind geben können.

Die Betreuung eines Frühchens wird Sie in Vielem extrem herausfordern und Sie an Ihre eigenen Grenzen bringen. Scheuen Sie nicht davor zurück in Belastungssituationen in Ihrem Umfeld Unterstützung zu suchen: Menschen wie Krankenschwestern, Hebammen, Freundinnen oder andere Frühchenmütter, die Sie mit ihrer fachlichen Kompetenz und persönlichen Erfahrung unterstützen und Mut machen. Genauso wie Ihr Kind werden auch Sie die nötige Kraft haben um mit den Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen das Beste aus der Situation zu machen.

Autorin: Mag. Angela Marsik