Leben mit einem SchreibabyTIPPS FÜR DEN ALLTAG

„Ihr Kind hat aber eine kräftige Stimme“ – mit diesen Worten begrüßten die Kinderkrankenschwestern mein zweites Kind bei der Geburt. Voller Stolz sah ich mein kleines, starkes Mädchen an, ohne zu wissen, was da wohl auf mich zukommen wird.

Während des Wochenbettes verstand ich schnell, dass meine Tochter vielleicht doch mehr, lauter, länger und intensiver schreit. Die Suche nach dem „Warum?“ wurde durch zahlreiche Erklärungen aus der Familie und mir völlig unbekannten Passanten kommentiert: „Hunger hat´s!“, „Bist du dir sicher, dass du genug Milch hast?“, „Zu heiß ist ihr!“, „Zu kalt ist ihr!“, „Bestimmt Bauchweh.“ und viele weitere ungefragte Ratschläge und Erklärungen begleiteten ab sofort meinen Alltag.

Als ich dann mein Kind durch die nicht enden wollenden Wutanfälle nicht mehr richtig stillen konnte und ich immer verzweifelter wurde, suchte ich Hilfe beim Kinderarzt. Dieser stellte zunächst fest, dass mein Kind nicht mehr ausreichend zunahm. Sofort wurde eine eventuelle Milchunverträglichkeit oder Probleme im Margen-Darm Trakt als mögliche Ursache für die Schreiattacken in den Raum gestellt. Doch alle Untersuchungen bestätigten ein gesundes Kind. Eine Umstellung auf Milchnahrung garantierte zumindest die ausreichende Versorgung meiner Tochter. Das Schreien blieb.

Als der Arzt mir riet, eine Schreiambulanz aufzusuchen, die mich im Umgang mit meiner Tochter filmen und analysieren sollte, wusste ich: Ich nehme unser Schicksal wieder selbst in die Hand. Wir versuchten es mit Osteopathie, doch auch dies führte nicht zur gewünschten Lösung. Langsam wurde mir klar, dass ich mich an den Gedanken gewöhnen musste, dass mein Kind einfach immer und überall schreit. Als „Schreibaby“ wollte ich mein Kind dennoch nie bezeichnen, auch wenn das unterschiedliche Ärzte diagnostizierten.

Doch was ist ein Schreibaby eigentlich?

Nach Wessel werden jene Kinder als Schreibabys bezeichnet, die mehr als drei Stunden pro Tag an mehr als drei Tagen pro Woche und seit mehr als drei Wochen schreien. Laut dieser Definition müsste mein Kind ein besonders schwerer Fall sein, denn Viola brüllte seit Wochen quasi ohne Pausen durch. Doch auch die Gewissheit, dass das eigene Kind ein Schreibaby ist, hilft keiner betroffenen Mutter weiter.

So begab ich mich erneut auf die Suche nach Ursachen sowie möglichen Lösungsansätzen und fand nach einer Vielzahl von Literaturempfehlungen das Buch „Das glücklichste Baby der Welt“ von Dr. Harvey Karp. Schnell bemerkte ich, dass dieses Buch wertvolle, sofort umsetzbare Tipps für die Beruhigung eines Kindes gibt. Harvey stellt die These des fehlenden vierten Trimesters auf, in der er die Drei-Monats-Koliken als Anpassungsstörung beschreibt. Den meisten Kindern sei eine „frühe“ Geburt zuzutrauen, andere hingegen haben aufgrund von nicht ausgereiften Selbstberuhigungsfähigkeiten mehr Temperament. Damit komme es zu dramatischen Überreaktionen, die nur durch die Simulation der Empfindungen im Mutterleib gedrosselt werden können. In den folgenden Kapiteln wird detailliert die „Fünf S-Methode“ beschrieben, um die Beruhigungsreflexe des Kindes zu aktivieren:

  • Zunächst soll das Kind „stramm gewickelt“ werden. Die Sehnsucht nach ständigem Kontakt wird so erfüllt.
  • Danach folgt die „Seitenlage“. Das Liegen auf dem Rücken verursacht bei vielen Babys die Angst des freien Falls und der Moro-Reflex wird ausgelöst. Durch die Seitenlage wird eben dieser Reflex unterdrückt.
  • „Schhhh-Laute“ beruhigen das Kind und ahmen das Fließgeräusch des Blutes in ihren Adern nach.
  • „Schaukeln“ versetzt das Kind in den Mutterleib zurück, wo es neun Monate lang rhythmische Bewegungen erfahren durfte.
  • „Saugen“ löst den Beruhigungsreflex aus und setzt natürliche Stoffe im Gehirn des Babys frei, welche innerhalb kurzer Zeit zu einer tiefen Entspannung führen.

Nachdem ich das Buch an nur zwei Tagen verinnerlicht hatte, versuchten wir unser Glück. Tatsächlich konnten wir Viola mit dieser Methodik ab dem ersten Tag der Anwendung schneller beruhigen. Sie schrie deshalb nicht weniger häufig, aber wir hatten das Gefühl ihr helfen und den Schreiattacken entgegen wirken zu können. Dies gab uns als Eltern ein unglaublich bestärkendes Gefühl, das die Machtlosigkeit weichen ließ. In den folgenden Monaten perfektionierten wir unsere Methodik und lernten auch mit der Kritik, unser Kind beim Pucken zu fesseln, gut umzugehen.

Ich bin seither überzeugt, dass jede Mutter und jeder Vater eines Schreibabys eine eigene Methode finden muss, um mit der Situation umgehen lernen zu können. Ein Schreibaby raubt unglaublich viel Kraft und lässt einen oft verzweifeln. Viele Mütter empfinden den schreienden Kindern gegenüber oft auch Wut und negative Gefühle. Auch ich hatte oft Gedanken, für die ich mich schämte. Niemand, der nicht betroffen ist, wird je verstehen können, wie eine Mutter so denken kann. Ich verstehe es. In den Situationen der kompletten Überforderung und Hilflosigkeit ist es umso wichtiger, die letzten Nerven zu bewahren. So gelingt dies:

  • Sprich mit anderen betroffenen Müttern über deine Gedanken. Das Wissen, nicht alleine zu sein, bewirkt oft Wunder.
  • Wenn nichts mehr geht und du deinem Kind gegenüber negative Gedanken entwickelst, verlasse den Raum und atme tief durch. Bereits fünf Minuten ohne das Geschrei lassen deinen Kopf wieder klarer werden.
  • Erinnere dich daran: Es ist eine Phase und sie geht vorbei. Du wirst bestimmt auch großartige Momente mit deinem Kind erleben.
  • Auszeiten schaffen. Bitte deinen Mann, deine Mutter oder andere Bezugspersonen auf dein Kind zu achten und nimm dir Zeit, um dich zu entspannen – sei es beim Shoppen, in der Sauna oder beim Treffen mit Freunden.
  • Geh nach draußen und nimm am Leben teil. Sport an der frischen Luft mit deinem Kind zusammen ist eine hervorragende Methode, um gestärkt die weiteren Stunden zu bewältigen. Die ausgeschütteten Endorphine ermöglichen dir und deinem Kind ein positives Miteinander.

 

Autorin: Eva Prischl